21. - 24. Mai Dschungelreservat Cuyabeno

 

So früh - nämlich um 5 Uhr - hätten wir nicht aufstehen müssen, wenn wir gewusst hätten, dass unser Flieger von Quito nach Lago Agrio zwei Stunden Verspätung haben würde. Und weil der Flughafen von Lago Agrio wegen Unwetters zeitweilig geschlossen war, hoben wir dann schliesslich erst um 11 Uhr 30 von der Rollbahn in Quito ab.

Lago Agrio ist die grösste Siedlung im ecuadorianischen Amazonas-Gebiet, eine Boomstadt durch die Erdölförderung im Dschungelgebiet. Feuchtwarme Luft und ein herzliches Bienvenidos unseres Naturguides David empfangen uns. Mit noch 7 anderen Teilnehmern fahren wir in einem Kleinbus von Lago Agrio weiter nach Osten, Richtung kolumbianische Grenze. Vorbei an kleinen Siedlungen in einer breiten Schneise gerodeten Urwaldes geht die Fahrt immer an Oelpipelines entlang. Wir sind beseelt von gemischten Gefühlen. Einerseits wird in diesen Pipelines ein grosser Teil des Wohlstandes für Ecuador befördert. Andererseits haben durch Leitungslecks seit 1989 zwei heftige Umweltkatastrophen das einzigartige Oekosystem des Cuyabeno-Reservats stark gefährdet.

Typisch für diese Gegend ist ein luftig aus dicken Bambusstämmen gebautes Haus auf "Stelzen" mit zwei Räumen, die von einem zweiseitig offenen Patio getrennt sind, gedeckt mit einem Walmdach aus Palmzweigen.

Duch reinen Zufall entdeckt David am Strassenrand ein verirrtes junges Dreizehenfaultier. David nimmt es mit, um es im Reservat wieder auszusetzen. Auf diese Weise sehen wir eines dieser seltenen Tiere, die man im Dschungel nur schwer zu Gesicht bekommt, aus nächster Distanz.

Am Rio Cuyabeno steigen wir um in Motorkanus und brausen in abenteuerlicher Fahrt den Urwaldfluss stromabwärts. Dem geschulten Blick unseres Guides entgehen weder ein im Uferdickicht versteckter Aninga-Vogel, ein Verwandter der Kormorane, noch eine im dichten Astwerk getarnte Baby-Anaconda. Gleich zwei Affenspezies bekommen wir auf dieser Kanufahrt zu Gesicht: Kapuzineräffchen turnen in den Bäumen bei unserer Abfahrt. Eine Kolonie Wollaffen will den Fluss kreuzen. David weiss genau, wann ein Affe über den Fluss springen wird. Und so werden wir Zeuge mindestens eines akrobatischen Sprungs von Baum zu Baum über den Fluss.

Im Dämmerlicht erreichen wir die Jamulodge, die für zwei Nächte uns behergen wird. Da es keinen Strom in der Lodge gibt, behelfen wir uns mit Kerzen und unseren Taschenlampen. Es passt zu den luftigen Bauten und wir entbehren - zumindstens für die zwei Tage - nichts Wesentliches.

Nach dem Lunch steigen wir noch einmal in die Kanus, um im Dunkeln die funkelnden Augen von Kaimanen zu entdecken. Einige wollen einen jungen Kaimanen unter dem Ufersgestrüpp entdeckte haben. Fast unglaublich scheint uns der Adlerblick unseres Naturführers, der im schwingenden Taschenlampenschein eine winzige um einen Ast gewundenen Boa Constrictor entdeckt und uns zeigt. Auf jeden Fall ist es ein aufregendes Erlebnis nachts den Urwaldfluss zu befahren.

Unter Moskitonetzen schlafen wir erstaunlich fest und lang. Lediglich die Nachtgeräusche des Urwaldes waren enttäuschend gering.

 

22. Mai

Nach dem Frühstück bringt uns das Kanu an einen Urwaldpfad. In Stiefeln folgen wir David durch den dichten Regenwald. Er lässt und erstaunliche Dinge entdecken: Urwaldriesen haben breitfächrige Stelzenwurzeln, da sie wegen der geringen Humustiefe des Regenwaldes nicht in die Tiefe wurzeln und sich auf diese Weise Stabilität sichern. Eine interessante Symbiose mit winzigen nach Zitrone schmeckenden Ameisen (wir haben es getestet) gehen die Ceibo-Bäume ein. Die Ameisen verhindern, dass andere Pflanzen diesen Bäumen zu nahe kommen. So stehen diese Ceibos oftmals in einem pflanzenfreien Kreis, weshalb die einheimische Bevölkerung sie auch "Könige des Waldes" nennt. David zeigt uns, wie man aus Baumharz Insektenschutz machen kann und dass die indigene Bevölkerung aus dem Saft mancher Planzen ein Mittel gegen Malaria gewinnt. An einem Baumstamm, der von einem Killerwein umklammert wird, entdecken wir eine kleine Tarantel, David im Unterholz einen winzigen, aber giftigen Frosch. Davids Spruch: " Je kleiner, umso gefährlicher" . Winzige Schwarzmanteläffchen turnen über unseren Häuptern. Richtig abenteurlich wird unsere Sumpfdurchquerung. Jetzt wissen wir, warum wir heute Stiefel tragen. Auf glitschigen Baustämmen balanzieren wir über den Morast. Das macht natürlich Appetit auf den Lunch, der uns in der Jamu Lodge erwartet.

 

Am späten Nachmittag stossen wir mit dem Kanu in die dicht bewachsenen überfluteten Uferbereiche der Laguna Grande vor, um Piranhas zu angeln. Zunächst warten wir ungeduldig und auch schon etwas frustriert mit unseren Angeln auf einen Fang, bis Thomas als erster einen Piranha an der Angel hat. David zeigt uns die rasiermesserscharfen Zähne, bevor er den Fisch wieder ins Wasser erlässt. Auch unser Kanuführer hat Anglerglück. Leider springt mein Piranha wieder vom Haken ins Wasser. Immerhin hat einer auch bei mir angebissen. Den grössten Fang macht eine unserer Mitfahrerin aus den Niederladen, indem sie einen 5 Kilo schweren Kammbarsch aus dem Wasser zieht. Der Motor unseres Kanus hat Ladehemmung und spuckt eine Menge Benzin in das Oekosystem. So ganz konsequent ist der Naturschutz hier also doch nicht. Immerhin gelingt es dem Bootsführer, das Kanunoch gerade rechtzeitig auf die Languna Grande zu fahren, damit wir den stimmungsvollen Sonnenuntergang erleben. Unsere jungen niederländischen Mitstreiter nutzen den See auch für ein Bad. Beim Gedanken an die eben noch geangelten Piranhas und auch die Existenz von Kaimanen wollen Thomas, Katrin und ich den Beteuerungen Davids, dass dieser Teil des Sees sicher sei, nicht so recht Glauben schenken. Wir geniessen den Sonnenuntergang ohne Badespass.

 

23. Mai  Cuyabeno - Lago Agrio - Quito

An unserem Abfahrtstag hat David noch eine Ueberraschung parat. Zum Sonnenaufgang fahren wir noch einmal vor dem Frühstück auf den Fluss und die Laguna Grande, um Vögel zu beobachten. Schon bald flitzt an uns ein eleganter Königsfischer, ein Verwandter unseres Eisvogels, vorbei. Hoch in den Aesten wachen die Chotzias auf, die die Einheimischen Stinktruthühner nennen, da sie als einzige Vogelart die vegetarische Kost im Kropf mittels bestimmter Bakterien verdauen. Alle unsere Aufmerksamkeit lenkt ein pinkfarbener Süsswasserdelfin auf sich, der sich immer wieder mit seinem Rücken an der Flussoberfläche zeigt. Ein einsamer kleiner Amazonasfalke entzückt durch sein buntes Gefieder. Ein Schwarm Kormorane und einige Amazonasgeier schliessen das morgentliche "Birdwatching" ab.

Nach dem Frühstück bringt uns das Motorkanu auf dem Cuyabeno in einer 1 1/2 stündigen rasenden Fahrt zurück zur Strasse. Noch einmal erleben wir den Dschungel hautnah. Vieles kommt uns nun schon bekannt vor und mit ein wenig angeeignetem Wissen sehen wir schon viel mehr, nicht nur eine undurchdringlich grüne  Wand wie am Anfang. Und ganz nah über uns klettern ausgewachsene grosse Wollaffen. Was für ein Finale unseres Dschungelaufenthaltes!

Nun beginnt eine Endlosfahrt, zunächst mit dem Kleinbus in zwei Stunden nach Lago Agrio. Und dann 8 Stunden mit dem Bus nach Quito. Die endlose Fahrt fordert viel Sitzfleisch und Geduld, auch wenn die langsam wechselnde Landschaft vom tropischen Regenwald über die Bergnebelwälder bis zum Hochland von Quito abwechslungsreich und interessant ist. Der Blick von den Hängen des Hochlandes auf die unendliche grüne Fläche des Urwaldes entschädigt wenigstens kurz die Plagen der langen Busfahrt. Denn mit der Ankunft auf dem riesigen Terminal Sur in Quito sind wir noch lange nicht in unserem Hotel. Dorthin gelangen wir erst nach einer halbstündigen Taxifahrt durch die schon schlummernde Megastadt.

 

 

 

 

 

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