26. 04. + 27. 04. 2012

Lima

Von unserem Standort Miraflores versuchen wir uns mit Kleinbussen zum Stadtzentrum vorzuschlagen. Das ist bei einer Stadtfläche von 70 qkm ein zeimlich zeitaufwendiges, aber erlebnisreiches Unternehmen. 1 ½ Stunden brauchen wir, um ins Zentrum vorzudringen. Eine Orientierung, wo wir uns vielleicht gerade befinden, ist ausgeschlossen, was mich ziemlich nervös macht und Katrin amüsiert. Deshalb lassen wir das Bedürfnis, irgendwie die Kontrolle über unseren Standort zu haben, fahren und konzentrieren uns darauf, das bunte Treiben an den Kleinbussen mit den uns unverständlichen Lockrufen der Busschaffner zu beobachten (auch für viele Einheimische ist es unverständlich, wie wir erfahren, da die Busschaffner ein „Kauderwelsch“ aus Spanisch und Quechua sprechen). Irgendwann nehmen wir wahr, dass wir durch das vornehme Viertel San Isidro fahren. Die vielen Villen und schönen Gärten zeigen es an. Auch an der deutschen Botschaft fahren wir dem Aufwallen heimatlicher Gefühle vorbei. Schließlich springen wir in der vermuteten Nähe der Fußgängerzone ab, damit uns der Bus nicht in die nördlichen Vororte entführt. Die Fußgängerzone zwischen der Plaza San Martin und der Plaza Mayor ist bald gefunden, obwohl die Orientierung mit Stadtplan und Straßennamen dadurch erschwert wird, dass die Straßen neue Namen tragen, die alten Bezeichnungen aber an kunstvollen Kachelschildern aufgeführt sind. So heißt z.B. die Fußgängerzone heute zwar Jirón de la Unión, aber auf den Schildern steht Calle del Mercadores. Von der Plaza Mayor sind wir überwältigt: die riesige Kathedrale mit dem pittoresken Erzbischofspalast und seinen wundervollen hölzernen Miradores bildet die Südostseite, die Gebäude der Stadtverwaltung im Westen passen sich im Stil, obschon erst 1934 erbaut, dem Barockgepräge an. Die Nordseite wird vom Regierungspalast im neoklassizistischen Stil eingenommen. Das ganze Ensemble wirkt sehr repräsentativ und beeindruckend. Den Eindruck mancher Besucher, mit denen wir gesprochen haben, dass Lima hässlich und zu meiden sei, können wir nicht bestätigen. In der Gasse Camaná hinter dem Rathaus finden wir das „Fressgässle“ von Lima. Es bleibt nicht bei einem Pisco Sour, auch das Mittagessen genießen wir in dieser angenehmen Umgebung, das jugendstilvolle alte Zentralpostamt im Hintergrund. Da wir am 28. April mit der zweithöchsten Eisenbahn der Welt in die Zentralanden fahren wollen, inspizieren wir schon mal den alten Bahnhof „Estacion Desamparadores“. Dort ist seit 2009 die Casa de la Literatura Peruana eingerichtet worden. Die Bahnhofshalle im schönsten Jugendstil gibt ein ein geschmackvolles Ambiente für die Ausstellungs- und Leseräume. Ich freue mich, eine Sonderausstellung zum Nobelreisträger Mario Vargas Llosa zu finden, von dem ich fast alle wichtigen Bücher gelesen habe. Das ist wie ein Wiedersehen auf heimischem Boden. Derweil wird Katrin von einer Klasse eines Limenser Mädchengymnasiums belagert, da unbedingt alle mit der exotischen Europäerin fotografiert werden müssen. Vorher haben wir noch einen Blick in den Convento de S. Domingo geworfen, der aus dem 15. Jhdt stammt und heute die Universität S. Marcos beherbergt. Die Pfeiler und die Wände des Kreuzgangs sind mit wundervollen Kacheln geschmückt, eine Pracht, wie wir sie so nur in Lissabon vorher gesehen haben. Diese anmutige Schönheit und auch die prächtige Bibliothek lassen fast vergessen, dass dieser Orden die Inquisition organisiert und durchgeführt hat. Da wir den wohl noch bedeutenderen Kreuzgang des Konkurrenzordens der Franziskaner wegen Restaurationsarbeiten nicht besuchen können, haben wir zumindest einen Eindruck von der Großartigkeit der Ordensarchitektur in der Hauptstadt des Vizekönigs. Lima war eben bis ins 18. Jhdt. Die bedeutendste Stadt des amerikanischen Doppelkontinents. Davon zeugen noch einige eindrucksvolle Kolonialpaläste, die wir manchmal ganz zufällig beim Schlendern durch die Straßen entdecken. Ein riesiges Polizeiaufgebot am Regierungspalast weist auf die Wichtigkeit der Personen in diesem Gebäude hin. Wehe ein Auto hält in der Seitenstraße, dann rennen Polizisten mit Maschinenpistolen herbei, um den potenziellen Störenfried einzuschüchtern. Die Plaza de s. Martin, dem größten Platz der Stadt, nach dem Befreiungsgeneral José de San Martín, der 1821 hier die Unabhängigkeit Perus proklamierte, benannt, erinnert mich sehr an die stalinistische Zuckerbäckerarchitektur Moskaus. Deshalb kommt mir Katrins Wunsch, nun doch in unser Hotelviertel zurückzufahren durchaus gelegen. Diesmal nutzen wir das „hochmoderne“ Schnellbusangebot, in lächerlicher Anmaßung „Metropolitano“ genannt. Dabei könnte diese Monsterstadt wirklich eine Metro gut gebrauchen. Immerhin sind wir in einer halben Stunde in unserem Viertel Miraflores. Die Nähe des Pazifiks lässt Katrins Lebensgeister wieder erwachen. Aber zunächst eine große Enttäuschung: Als wir bis zum Rande von Miraflores vorstoßen, genießen wir zwar einen prächtigen Ausblick über die Küste, aber eben von einer Steilküste aus, der Strand ist 150 m unter uns und von einer vierspurigen Autobahn getrennt. Das moderne Einkaufszentrum Larcomar mit atemberaubendem Blick kann Katrins Enttäuschung nicht kompensieren. Aber wozu gibt es Taxis? Es ist zwar ein beträchtlicher Umweg, aber schließlich gelangen wir zur Mole eines schicken Restaurants, fast wie in Malibu. Katrin prüft mit den Füßen erst die Wassertemperatur und ist von der Wärme angenehm überrascht. Doch dann ist Schlemmen bei Meeressonnenuntergang im Restaurant mit dem bezeichnenden Namen Rosa nautica (Windrose) angesagt. Die Steilküste von Miraflores im Schein der Straßenlaternen und Nachtbeleuchtung, ein unglaublich eindrucksvoller Blick!

 

27. April 2012. In unserem Hotel war es heute Nacht so laut, nachgerade der Fernsehgenuss um 5 Uhr hat Katrin überzeugt, dass wir das Hotel unbedingt wechseln müssen oder einen Preisnachlass erlangen. Da Letzteres nicht erreichbar ist, ziehen wir mit all unserem Sack und Pack (im höchst wörtlichen Sinne) um. In dem Backpackerhotel in der Nähe finden wir Unterschlupf, müssen allerdings gleich beide Übernachtungen, die vom 27. zum 28. Und vom 29. zum 30. im Voraus bezahlen. Das sollte noch zu Verwicklungen führen. Eigentlich sollte uns der Taxifahrer zum Museo Nacional de Arqueologia im Stadtteil Pueblo Libre fahren. Das kennt er offenbar nicht. Damit kommen wir zu einem entscheidenden Problem, dass die Taxifahrer sich überhaupt nicht auskennen – kann man sich in einer solchen Megastadt überhaupt auskennen? Auf jeden Fall muss der Gast den Taxifahrer anleiten. So kommt es, dass wir zwar in das Stadtteil Libre gefahren werden und auch an die Avenida Bolivar, aber nicht an die Plaza Bolivar. Letztlich ist es kein übler Schaden, denn in das Privatmuseum Larco Herreira wollten wir ohnehin, schon wegen der berühmten Goldexponate. So wird uns zwar nicht der erwartete Überblick über die präkolumbianischen Kulturen geliefert, dafür aber die umfangreichste Sammlung von Keramiken der Mochica-Zeit (100 bis 800 n.Chr.). Wir sind vom Erhaltungszustand und der Qualität der Keramik höchst erstaunt. Die Mochica sind deshalb so interessant, weil sie auf ihren Vasen viele Alltagsszenen dargestellt haben. Die größte Besonderheit sind jedoch die individuellen Züge der Vasen (meist haben sie die Form der Steigbügelkanne und der Vasencorpus ist ein Menschenkopf). Wer immer dargestellt wurde, vielleicht politisch hochstehende Persönlichkeiten, er ist sehr realistisch portraithaft abgebildet mit allen individuellen Zügen und körperlichen Gebrechen. Ich kenne nur die realistische Portraitkunst der Römer, die damit vergleichbar wäre. Auch deutlich ethnische Unterschiede treten auf, man erkennt eine typisch asiatische Physiognomie, gleichzeitig auch deutlich negroide Züge und auch „Bleichgesichter“ sind dargestellt. Woher dieses Wissen? Die perfektesten Goldschmiede waren die Chimu (1000 bis 1400 n.Chr.) Der peruanische Archäologe und Namensgeber des Museums hat in Gräbern unglaubliche Goldfunde gemacht, die den Spaniern gottseidank nicht in die Hände gefallen sind. Der bedeutendste Fund ist die komplette Zeremonialausrüstung eines Chimu-Fürsten aus Gold (Pectoral, Armreifen, Ohrringe, Halskette und Kopfschmuck) – da fällt einem nichts mehr ein. Kein Wunder, dass die Inka die Chimu-Handwerker und Goldschmiede nach ihrer Eroberung des Königreichs nach Cusco verschleppt haben. Das Museum selbst ist in einem weitläufigen Kolonialpalast mit einem wunderschönen Garten voller verschieden farbiger Bougainvillea untergebracht, auch ein Augenfutter sondergleichen. Der Museumsshop lockt Katrin mit geschmackvollen Repliken und einzigartigen Schmuckaccessoires. In der Nähe finden wir ein winziges Kneipchen, das uns in Ermangelung eigener Vorräte das Bier aus dem Supermarkt holt. Wegen der gestrigen Abendeindrücke am Meer will Katrin am späten Nachmittag zum Sonnenuntergang wieder am Meer sein. Also lassen wir von einem Taxi zum Strand von San Isidro hinunterfahren. Die Küste ist allerdings eine Totalenttäuschung. Die Limeños haben offenbar den Wert ihres Strandes noch nicht erkannt, sondern nutzen ihn weiträumig als Aushubdeponie. Katrin marschiert unverdrossen kilometerweit an dem Abraum vorbei, um vielleicht noch einen Zugang zum Meer zu finden. Schließlich wird sie im Abschnitt Miraflores, unweit der gestrigen Stelle fündig. Und ich folge ihr brav. Denn ich hatte ja schließlich meine Interessen mit dem Museum durchgesetzt. Ein Taxi bringt uns zurück ins Zentrum von Miraflores, den Kennedy-Platz, wo wir ein nettes Abenlokal finden. Leider kann Katrin wegen des Lärms um das Backpackerhotel nicht schlafen, so dass sie völlig gerädert um 5 Uhr aufsteht, denn wir haben unseren Taxifahrer José Veloso so früh bestellt, um uns an den Bahnhof Desamparadores in Lima zu fahren….. Über die sensationelle Bahnfahrt findet sich der Bericht hier (nicht nur für Eisenbahnfans interessant).

 

30. April bis 1. Mai. Völlig übermüdet kommen wir mit dem Nachtbus von Huancayo in Lima am Terminal der Busgesellschaft Oltursa an. Gottseidank haben uns Annett und Michael den Schlüssel ihrer Wohnung in Miraflores vertrauensvoll überlassen, so dass wir erst einmal eine Mütze Schlaf nehmen in ihrer Wohnung, nachdem wir unser Gepäck im Backpackerhotel mit José abgeholt haben. Nach dem sanften Aufwachen um die Mittagszeit, probieren wir den Pool hoch über den Dächern von Lima. Wow, kann man da nur sagen. Der Blick reicht vom Pazifik bis zu den Wüstenbergen im Osten. Das kalte Wasser ist hoch erfrischend und belebend. Danke, Annett und Michael!!! Heute ist nach den anstrengenden Tagen der Bahnfahrt und Huancayo Relaxen angesagt. Deshalb lassen wir uns an den einzigen Sandstrand der Millionenstadt in Barranco bringen. Wer nicht an Vorbestimmung glaubt, wird in seinem Nichtglauben erschüttert, wenn er erfährt, dass Katrin am Strand Helen Gomez mit ihrem Freund Jesus Peña trifft, mit denen wir im Colca Canyon gewesen waren. Die Kommunikation mit den beiden, der Mutter und Schwester von Helen klappt erstaunlich gut, obwohl alle nur Spanisch sprechen. Katrin ist eben eine Kommunikationskünstlerin. Im letzten Abendschimmer erklimmen wir die Höhe von Barranco und finden ein zauberhaftes Restaurant für das Abendessen. Das lässt Katrin sogar den Verlust ihres hübschen roten Hutes aus Copacabana (Bolivien), der durch meine Unachtsamkeit am Strand verloren gegangen ist, verschmerzen.

 

1. Mai 2012. In Miraflores ist fast alles geschlossen. Auch hier spürt man den Feiertag. Da wir die Nacht in der Wohnung von Annett und Michael in einem Hochhaus an der Ecke Av. Julio 28. – Av. Reducto im 13. Stock verbracht haben, brauchten wir unser Zimmer im Lion-Backpacker-Hotel nicht. Obwohl wir ihnen das rechtzeitig mitgeteilt haben, wollen sie uns nicht für das voraus bezahlte Zimmer entschädigen. Es ist eine lange Diskussion und schließlich entscheidet nur die Drohung, dass wir eventuell bei Reise KnowHow und Lonely Planet negativ über sie berichten werden, dass wir die Hälfte des Übernachtungspreises erstattet bekommen. Die Touristeninformation an der Plaza Kennedy macht uns keine Hoffnung, dass wir heute Abend noch weiter nach Huaraz fahren können. Auch die direkte Anfrage bei Ormeña und Cruz del Sur lässt uns ratlos. Katrin spielt schon mit dem Gedanken, ein Auto zu mieten und individuell dorthin zu fahren. Mir scheint jedoch noch nicht alles ausgereizt. Deshalb bringt uns ein Taxi an den Terminal Norte und wir können tatsächlich mit Oltursa noch eine Nachtfahrt nach Huaraz buchen. Nach diesem erfolgreichen Arrangement lassen wir uns zum Museum Nacional de Arqueologia fahren an der Plaza Bolivar im Stadtteil Libre. Leider nutzt das Museum den Feiertag für Restaurationsarbeiten. Welche Enttäuschung!!! Zum Trost lassen wir uns noch einmal ins Viertel Barranco, einem sehr malerischen Stadtteil, in dem viele Künstler wohnen, fahren. Katrin möchte als Abschied von Lima gerne in dem schönen Restaurant „Rustica“ am Meer dinieren. Es stellt sich heraus, dass heute ein umfangreiches Buffet angeboten wird. Das Lokal ist völlig überfüllt von Limeños. Dank eines freundlichen Kellners finden wir noch einen wundervollen Platz direkt am Meeresrauschen. Das Buffet ist außergewöhnlich reichhaltig. Kein Wunder, dass halb Lima hier einfällt. Gegen 19 Uhr holt uns José ab und bringt uns an den weit entfernten Terminal Norte.

 

 

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